Bezeichnende Schlaflosigkeit

© Christoph Srb

Bezeichnende Schlaflosigkeit

Christoph Srbs Notschlafstellentagebuch

Von 2016 bis 2023 arbeitete Christoph Srb, der ein Atelier im Bereich Bildende Kunst (BBK) im WUK hat, in Notschlafstellen. In jedem Dienst fertigte der bildende Künstler eine Zeichnung an. Nun soll eine Auswahl dieser graphischen Protokolle sozialer Arbeit als Buch erscheinen.

“Nachdem die Karriere nicht senkrecht gestartet ist, musste ein Job her“, erzählt Christoph Srb vom Start des Projekts, der keine künstlerischen Intentionen hatte. „Und ich habe es als sinnvoll empfunden, mit Obdachlosen zu arbeiten.“ Dass sich der Absolvent der Universität für Angewandte Kunst mit praktischen Dingen beschäftigt, ist nicht neu, hat er doch schon bei der Post, in metallverarbeitenden Betrieben, in einem Sägewerk oder als Sargträger gearbeitet. Manchmal seien es bestimmte Techniken, die er ausprobieren wollte, oft aber bringe ihn ein Thema zur Kunst. „Ich glaube, dass man immer von dem ausgeht, was einem nahe ist.“ So war relativ bald nach dem Start klar, dass er seiner Arbeit einen künstlerischen Mehrwert geben wollte: „Es war ein neues Feld, mit Kolleginnen und Kollegen, die auch sehr cool waren. Das war alles sehr spannend. Wenn etwas Neues passiert, dann steigert sich in mir der Drang, zu zeichnen.“

„Stress in Zimmer 3“.

„Eine Saison dauert von Oktober bis April, also sechseinhalb Monate. Da ziehe ich die Arbeit durch und ich ziehe die Zeichnungen durch.“ Auf jedem Blatt steht das Datum, die Art des Dienstes (meist „ND“ für Nachtdienst) und die Vornamen der Kolleg*innen. Ist es ein stressiger Dienst, wird es eine flüchtige Zeichnung. Ist mehr Zeit, regiert das Detail. Gibt es nicht viel zu erzählen, überwuchern oft florale Motive die Blätter. Manchmal fragt er Kolleg*innen, was er zeichnen soll. Mit Fineliner, Bleistift, Kugelschreiber oder Farbstift setzt er Alltagsgegenstand wie ein Häferl, einen Stecker oder ein Handy groß in Szene. Im Laufe der zehn Jahre entstanden so 570 Zeichnungen in 15 Büchern mit einem unglaublichen handwerklichen Geschick, Selbstironie, wenn etwas nicht gelingen will, inklusive.

Wie kann man sich so einen Dienst in einer Notschlafstelle vorstellen? Bei der Dienstübergabe wird wie in einer TV-Serie alles berichtet, was bisher geschah. Gibt es Lebensmittelspenden? Gab es Vorfälle oder Konflikte unter Nächtigern? Was ist zu tun? Dann gehen die Kolleg*innen vom Vordienst nachhause. „Du füllst die Wasserkocher auf und bereitest das Abendessen vor. Du machst Hausrunden, ob alles okay ist“, erklärt Srb. Hier gibt es schon erste Gespräche und Vorahnungen, wie die Nacht verlaufen wird. Bei der Essensausgabe wird alles angeboten, was als Spenden zur Verfügung gestellt wurde. Um 22:00 Uhr ist dann Nachtruhe. Theoretisch.

„Pizza mit Rasierschaum in Gesicht von Nächtiger“, „Stress in Zimmer 3“ „Nächtiger blutet aus dem Penis – Blut aufgewischt – Suppe gekocht.“ „Klient findet Zimmer nicht weil auf LSD“ - Von Polizeieinsätzen, Abschiebungen oder medizinischen Notfällen erzählen die Zeichnungen von meist weniger ruhigen Nächten aber auch von Lichtblicken: „Christbaum wurde von Nächtiger geschmückt.“ Wie verarbeitet man eigentlich solche Nächte? „Du brauchst nach einem Dienst drei Stunden, egal, was passiert ist, um wieder runterzukommen. Wenn halt etwas Schwerwiegendes war, dauert es länger.“ Die Gespräche mit den Kolleg*innen helfen. Es gibt auch Supervision. Und Bass spielen hilft, erzählen die gezeichneten Tagebücher.

© Christoph Srb

In schlechter Verfassung.

Warum kommen Menschen in Notschlafstellen? „Weil sie obdachlos sind, in schlechten Verfassungen sind - monetär, sozial -, die es nicht zulassen, dass sie mit andere Menschen in Wohnungen sein können“, erklärt Christoph Srb. „Es geht relativ leicht, dass man auf der Straße landet und es ist unheimlich schwer, dort wieder wegzukommen.“ Natürlich gäbe es Sozialarbeit, aber viele Klienten habe er von Jahr zu Jahr wieder getroffen. „Dazu kommt noch eine Suchtproblematik, meistens Alkohol oder Politox.“ In seinem Fall waren die Nächtiger Männer, die keinen Anspruch auf Sozialhilfe in Österreich haben, weil sie aus dem benachbarten EU-Ausland kommen: Ungarn, Tschechien, Slowakei, Rumänien, Bulgarien oder Deutschland. Seine Protokolle vermerken immer wieder Hausverbote (HVs), wenn nichts mehr geht. Was dann? „Dann gibt es die Möglichkeit einer anderen Notschlafstelle. Wenn die Person das will, rufen wir woanders an. Am Bahnhof gibt es noch Streetworker. Wenn manche überall Hausverbot haben, dann weiß ich nicht, wo er schläft“, so Srb nachdenklich.

Zeichnen und gezeichnet werden.

In Christop Srbs Zeit in den Notschlafstellen fallen auch die Jahre der Pandemie. Ist es nicht zynisch, Menschen ohne Obdach zu sagen, sie sollen zuhause bleiben? „Die konnten tatsächlich zuhause blieben, d. h. unsere Notschlafstelle blieb tagsüber geöffnet. Zuvor mussten sie um 8:00 Uhr das Haus verlassen und in Tagesstätten gehen.“ Diese Änderung wurde nach der Pandemie beibehalten, was durchaus Sinn macht, wenn speziell kranke Menschen nicht in den kalten Winter hinausgeschickt werden. Nicht nur die Pandemie, auch andere Ereignisse schwappen in Christoph Srbs Protokolle hinein wie die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten, die Pferde des Innenministeriums oder die brutale Ermordung einer Trafikantin in der Nußdorferstraße durch ihren Exfreund. Christopher Srb, der sein Atelier im WUK hat und selbst Raucher ist, kannte sie.

© Christoph Srb

Wie haben seine Kolleg*innen auf seine Zeichnungen reagiert? „Viele fanden es interessant. Manche wollten gezeichnet werden. Andere haben mir gesagt, was ich zeichnen soll.“ Tatsächlich finden sich unter den Blättern einige Portraits von Kolleg*innen, sehr zurückhaltend respektvoll auch Darstellungen von Klienten. Nun soll das Projekt zu einem Buch werden. Die Ö1-Journalistin Sabine Nikolai wird ein Vorwort schreiben. Der bulgarisch-stämmige Todor Ovtcharov, bekannt aus seiner FM4-Kolumne „Mit Akzent“ steuert einen Textbeitrag bei. Der Kunsthistoriker Boris Manner wählt 100 Zeichnungen aus, um sie zu beschreiben und einzuordnen. Erschein soll das Ganze im Frühjahr 2025. Die Finanzierung für das Buch ist gesichert. Nachdem Christoph Srb aber nicht einen finanziell durchschlagenden Erfolg erwartet ist er wieder auf Arbeitssuche, und zwar wieder im sozialen Bereich. „Das liegt mir einfach am nächsten.“

Text: Florian Müller

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Illustrationen: Christoph Srb

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Wir bedanken uns herzlich bei Florian Müller sowie bei Christoph Srb, die uns ihre Werke für das WUK Magazin zur Verfügung gestellt haben. 
Der Text wurde im September 2024 zuerst in Augustin. Erste österreichische Boulevardzeitung, Ausgabe 605, publiziert, mit dessen freundlicher Genehmigung wir den Text veröffentlichen dürfen. 

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