Alterswerk? Bitte warten!
Pop ist schon lang nicht mehr das Privileg der Jugend. Rolling Stones hin, Neil Young her, leiden viele älter werdende Künstler_innen an Publikumsschwund. Und gerade in Österreich fehlen gute Beispiele für das Altern im Pop, meint unser Gastautor Sebastian Fasthuber.
Ein nicht zu leugnender Vorteil einer Grippe: Endlich wieder tagsüber Fernsehen. Zwischen Promibackwettbewerben und Entrümpelungen kommt mir ein neues Format unter: Österreicher in Hollywood. Unter ihnen eine ältere Dame aus Wien namens Evie Sullivan, angeblich war sie die Inspiration zum Song "Die Blume aus dem Gemeindebau".
In einer Szene ist sie zu sehen, wie sie Apfelstrudel macht. Sie greift zum Handy und sucht einen Live-Mitschnitt des berühmten Ambros-Lieds. Leise hört man sie sagen: "Na, nehmen wir das frühere Video, da ist er noch besser beisammen." Aua, aber treffend.
Alternde Austropopper_innen spielen in meinem beruflichen Alltag als Kulturjournalist eine verschwindend kleine Rolle. Zum einen sind die nachfolgenden Pop-Generationen einfach zu rege. Es liegt aber auch daran, dass der aktuelle Output der Helden von einst vernachlässigbar ist - quantitativ wie qualitativ. Trotzdem beschäftigen sie mich, wenn ich darüber nachdenke, bisweilen sogar erstaunlich intensiv.
So hatte ich eine Zeit lang ein Faible für Peter Cornelius. Dieser hat in den 1980ern eine Reihe eingängiger Songs geschrieben, in denen Melodie und Text so perfekt zusammengingen wie nur selten im heimischen Pop. Also besuchte ich ein paar Konzerte. Ich durfte feststellen, dass Herr Cornelius auch ein sehr guter Gitarrist ist, weshalb er in jedem Song mindestens ein längliches Solo spielte.
Das machte die Sache auf Dauer etwas ermüdend. Die Songs neueren Datums, die überraschend frei von Melodien waren, verstärkten diese Wirkung. Den erdigen Singer/Songwriter, auf den er in reiferen Jahren macht, nimmt man dem Mann nicht ab. Dazu ergeht er sich auch noch gern in Verschwörungstheorien.
Fendrich als Italiener
Rainhard Fendrich ist mir einmal im Traum erschienen. Der Liedermacher verfolgte mich darin zwar nicht direkt, aber er sprach sehr eindringlich auf mich ein, denn er hatte ein Anliegen: Wann ich ihn denn endlich mal interviewen würde? Ja, mei, es hat sich nie ergeben, dachte ich mir, als ich leicht verschwitzt aufwachte. Die Texte des jungen Fendrich liebe ich bis heute - Nestroy, in die frühen 1980er versetzt. Aber so gut gemeint seine späteren Werke sein mochten, vom einstigen Talent für griffige Formulierungen und bissige Reime ist inzwischen kaum noch was übrig.
Der Blick schweift in die Ferne. Er muss gar nicht bis L.A. wandern, sondern nur bis Italien. Wäre Fendrich dort geboren, er wäre ein Cantautore geworden, irgendwo zwischen der Popsensibilität von Umberto Tozzi und der poetischen Ader von Antonello Venditti. Italien hält etwas auf seine alten Stars, es hört sich sogar ihre neuen Alben an. Sie sind dort lebende Künstler. Hinterm Brenner wäre Riccardo Fendrichi noch ein Zeitgenosse.
Wolfgang Ambros habe ich ein einziges Mal getroffen und muss sagen, dass die Begegnung unter keinem guten Stern stand. Es wird um die 20 Jahre her sein, auf der Summer Stage wurde eine Reihe mit Austropop-DVDs präsentiert. Einige heimische Künstler_innen waren anwesend, darunter auch Wolferl nationale, der das Ganze freilich lieber als Privattermin verbucht hätte, anstatt Promo zu machen.
Die Folge war ein Round-Table-Gespräch, das die Austropop-Größe zunächst unmotiviert über sich ergehen ließ, ehe sie es bald für beendet erklärte. Ich war noch kaum zu Wort gekommen und dachte mir: Wenn ich schon extra hergefahren bin, will ich zumindest etwas fragen, das mich tatsächlich interessiert. Also konfrontierte ich den mürrisch gestikulierenden Ambros mit dem Begriff Alterswerk.
In Amerika würden Johnny Cash und Leonard Cohen in fortgeschrittenem Alter fantastische Platten voller Reduktion und Tiefgang aufnehmen. Wäre so etwas für ihn nicht auch reizvoll? Auf seine Antwort oder gar eine entsprechende Platte warte ich bis heute. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er die Frage überhaupt noch gehört hat.
Selbstzerstörung und Pension
Es hätte hierzulande schon ein paar Kandidaten für ein spannendes Spätwerk gegeben, sie verstarben nur leider früh. Georg Danzer wurde gerade mal 60 Jahre alt. Wilfried verlor 2017 mit Mitte 60 den Kampf gegen den Krebs, kurz nach der Veröffentlichung des famos rauen und lebendigen Albums "Gut Lack", das ein Blueprint für würdevolles Altern als österreichische Rockmusiker sein könnte.
Die Hansis der heimischen Popmusik, allesamt Zerrissene, waren schon früher gegangen: Hansi Dujmic, Hansi Lang und natürlich Hans Hölzel. Sie reihten sich in eine lange Reihe heimischer Künstler (tatsächlich allesamt Männer) zwischen Genie und Selbstzerstörung ein.
Apropos Falco: Es wäre schön, aber ich glaube nicht, dass er - würde er heute noch leben - tolle Platten produzieren würde oder auch nur gefragter Feature-Gast von Bilderbuch bis RAF Camora wäre. Wahrscheinlich wäre er einfach nur verlebt wie der einstige Schauspielstar und Provokateur Helmut Berger. Würdelos Altern ist ja auch eine Kunst für sich.
Woran liegt’s nun, dass in Österreich so gut wie keine berührenden - oder zumindest rüstigen - Spätwerke aufgenommen werden? Es hat schon auch etwas mit der hiesigen Mentalität zu tun, will mir scheinen. Hierzulande möchte man ab einem gewissen Alter einfach seine Ruhe haben, die wohlverdiente Pension genießen. Den Anschluss an neue musikalische Entwicklungen hat man in der Regel schon viel früher verloren.
Zuletzt verabschiedeten sich die EAV, Gert Steinbäcker und Stefanie Werger von der Bühne. "Langsam wea i miad" hieß Wergers Tournee. Ich habe sie mir angesehen. Sie hat nicht nur "Sehnsucht nach Florenz" und "Flamenco Turistico" gesungen, sondern auch eine Reihe neuer Lieder, die gar nicht übel waren.
Wie sich im Pop produktiv altern lässt, werden aber erst die folgenden Generationen wirklich ausprobieren. Die Maurice Ernsts, Soap & Skins und Ninos werden uns dereinst zeigen, was trotz Muskelabbau und Gelenkverschleiß kreativ noch geht. Ganz ehrlich: Ich freue mich drauf.
Sebastian Fasthuber, Jg. 1977, ist Kulturjournalist und schreibt seit 1999 für die Wiener Stadtzeitung "Falter" sowie andere Medien über Musik und Literatur.