Wir üben Solidarität
Mehr als 150 autonome Gruppen im WUK organisieren sich basisdemokratisch. Ein manchmal mühsamer Prozess der Selbstverwaltung, der die gesellschaftspolitische Bedeutung des
Werkstätten- und Kulturhauses unterstreicht: Schon Kinder lernen hier, wie Demokratie funktioniert.
In jeder Gruppe gibt es sie: Menschen, die sich bei jeder Gelegenheit zu Wort melden und andere, die lieber still beobachten. 14 Vertreter_innen aus dem Bereich der Gesellschaftspolitischen Initiativen im WUK sitzen an einem Donnerstagabend im November zusammen. Der enge Raum hat sich aufgeheizt, die Stimmung ist dennoch entspannt. Aus dem Nebenraum auf Stiege fünf ist ein Schlagzeug zu hören.
Einmal pro Monat trifft sich die Gruppe zu einem Bereichsplenum. Hier werden aktuelle Probleme besprochen, Aufgaben verteilt, Informationen weitergegeben. Die Agenda für den Abend ist entsprechend lang, Traubensaft und Salzgebäck stehen auf einem kleinen Tisch in der Mitte. „Würde irgendeine Katastrophe in Wien passieren, ich würde ins WUK kommen“, sagt eine Teilnehmerin und lacht. Sie meint es durchaus ernst: Kaum eine Sprache, die im WUK nicht gesprochen wird, unter den „WUK-Tätigen“ finden sich Menschen, die Expert_innen sind für die politische Lage im Iran, für das österreichische Asylwesen oder für radioaktive Strahlung.
Die 27 Gruppen aus dem Bereich der Gesellschaftspolitischen Initiativen organisieren sich so wie die anderen selbstverwalteten Bereiche im WUK (Bildende Kunst, Interkulturelle Initiativen, Kinder und Jugend, Musik, Theater/Tanz/Performance, Werkstätten) über das monatliche Plenum. Vertreter_innen aus den sieben Bereichen wiederum diskutieren im WUK-Forum mit dem Vorstand und der Geschäftsleitung Themen, die das gesamte Haus betreffen.
Anstrengend und bereichernd
Wie die Selbstverwaltung im WUK im Detail funktioniert, ist immer wieder Gegenstand gemeinsamer Aushandlungsprozesse. Claudia Gerhartl, die die SchülerInnenschule im WUK leitet, beteiligt sich seit Jahrzehnten daran. Als „WUK-Urgestein“ bezeichnet sie sich selbst auf der Website. Über eine neu gegründete Kindergruppe kam Gerhartl 1986 ins WUK – und blieb. „Es war meine Rettung“, sagt sie. Kurz nach Studienbeginn war sie schwanger geworden, im WUK fand sie Menschen, mit denen sie sich politisch austauschen konnte – ein neues Zuhause. Gerhartl engagierte sich früh in den Strukturen. In Plena und Generalversammlungen sei nächtelang über Details wie die Anstellung der ersten Reinigungskraft diskutiert worden, erinnert sie sich. Unglaublich anstrengend sei das gewesen und zugleich bereichernd – ein Experimentierfeld für alle Beteiligten. „Es ist klar, dass solche Projekte entweder irgendwann sterben oder sich eben professionalisieren“, sagt Gerhartl mit Blick auf die aktuelle Situation.
Die andere Seite abseits der Autonomie in der Kindergruppe kennt Liebe auch die Arbeit im Vorstand des WUK, wo sie 2006 tätig wurde und nach einer mehrjährigen Pause seit 2017 wieder aktiv ist. Den Verein zur Schaffung offener Kultur- und Werkstättenhäuser – Rechtsträger des WUK – leitet ein sechsköpfiger Vorstand, der über die strategische Ausrichtung entscheidet. Wenn Josefine Liebe als Vorstandsmitglied auftritt, fühlt sie sich oft wie auf der „anderen Seite“. „Ich merke schon, dass Menschen immer wieder Dinge auf mich projizieren, weil ich im Vorstand bin. Dass da ein Machtgefälle gesehen wird, das so vielleicht gar nicht da ist“, sagt Liebe. Dennoch erlebt die Kindergruppenbetreuerin die Arbeit als äußerst produktiv. „Ich habe hier so unglaublich viel über Kommunikation gelernt“, sagt sie.
Auch wenn die Kommunikation oft nicht reibungslos verlaufe – wichtig sei die Möglichkeit, Probleme ansprechen zu können. Etwa, wenn in Plena Männer viel mehr Redezeit beanspruchen. Oder
schüchterne Menschen sich nicht zu Wort melden. „Dann muss man eben kreative Wege finden, alle miteinzubeziehen.“ Im Plenum der Gesellschaftspolitischen Initiativen hat sich die Gruppe nach kurzer Diskussion darauf geeinigt, wie man ein Projekt gemeinsam unterstützen möchte. „Ich glaube wir reden heute zu viel durcheinander“, sagt ein Aktivist.
Text von Brigitte Theißl
Brigitte Theißl lebt als freie Journalistin und feministische Erwachsenenbildnerin in Wien. Sie ist Redakteurin beim feministischen Magazin an.schläge und bloggt unter www.denkwerkstattblog.net