Wir haben unser Essen nicht beendet
von Doaa Al-Dulaimi, Teilnehmerin des WUK m.power Pflichtschulabschlusskurses
Am 26. Juni im Jahr 2014 saß ich um 11:00 Uhr morgens auf einer Hollywoodschaukel, meine Mutter war in der Küche, mein Vater und meine Brüder waren in unserem Kleidungsmarkt. Ich sagte zu meiner Mutter, dass ich 4 Helikopter gesehen hatte, die nicht so weit von unserem Haus entfernt waren und ich mich deswegen nicht so wohl fühlte. Sie sagte: „Geh und nimm eine Dusche!“ Ich sagte: „Ok“ und ging weg, um mich duschen zu gehen. Um 12:30 Uhr, während ich mir die Haare kämmte, kamen mein Vater, meine Brüder und mein Cousin. Sie sprachen über etwas, das mit dem „IS“ zu tun hatte, während meine Mutter das Essen zubereitete.
Nach einer halben Stunde, als wir das Essen fertig zubereitet hatten, saßen wir zusammen am Esstisch. Es gab „Bryani“ mit Salat. Meine Eltern und Geschwister begannen mit dem Essen, aber mein Kopf war in einer anderen Welt, die sehr laut und dunkel war. Nach circa 5 Minuten aß ich meinen ersten Bissen, ich dachte mir, dass es sehr lecker war, aber ich sprach es nicht aus. Plötzlich kamen meine Tante und ihre Familie zu uns und meine Cousine sagte: „Ihr esst und wisst nicht, was draußen passiert ist!?“ Meine Eltern fragten: „Was war los?“ und sie sagte: „Der IS ist schon hier.“
Wir fingen an unsere Kleider zu sammeln. Aber ich begann Medikamente einzupacken. Meine Mutter sagte: „Was machst du, wofür brauchen wir das?“ Ich sagte: „Ich muss Medikamente einsammeln, wenn jemand Medikamente für Bauchschmerzen oder Kopfschmerzen braucht!“ Dann sammelte ich fast all meine Kleidung zusammen und meine Mutter sagte: „Bist du verrückt? Du brauchst nicht so viel Kleidung, und außerdem, wer kann das tragen?“ Dann nahm sie meine Kleidertasche und packte nur zwei oder drei Pyjamas für mich ein. Nach circa 20 Minuten gingen wir nach draußen. Mein Onkel brachte seine Familie in ein Haus. Aber das Haus war nicht groß, und deswegen teilten sie uns in zwei Häuser auf. Wir warteten circa eine Stunde bis sie sagten: „Vielleicht können wir nicht rausgehen!“ Die Kinder spielten und wussten nicht, was passierte. Die Frauen hatten Angst um ihre Kinder. Und die Männer hatten Angst um die Frauen und die Kinder und dachten: „Wie können wir rausgehen?“ Nach 15 Minuten kam ein Auto mit einer großen Ladefläche, auf die Alle draufpassten. Ich sah Rauch und viele Männer, die draußen waren. Ich, meine Mutter, meine Tante und die Kinder saßen in dem Laster und wir fuhren 4 Stunden auf dem Weg zum Haus meiner Tante. Als wir dort ankamen weinte ich wegen meiner starken Rückenschmerzen. Wir blieben im Haus meiner Tante für circa ein oder zwei Wochen und diese zwei Wochen schlief ich nur. Das Haus war voller Lärm, weil wir circa 9 Familien in diesem einen Haus waren. Während dieser Zeit dachte ich zu viel nach über mein Leben. Ich hatte Angst davor, nicht zu wissen, was passieren würde. Ob mein Leben an diesem Punkt stehen bleiben würde, ob ich meine Träume verwirklichen könnte. Aber die Zeit veränderte sich und veränderte mein Leben.
In dieser Zeit meines Lebens lernte ich, wie ich meinen Gefühlen vertrauen und meine Emotionen nicht ignorieren kann.
Über die Reihe an Erzählungen von Teilnehmenden von WUK m.power:
Die Aufgabenstellung für die Erzählungen war offen formuliert, um den Teilnehmenden die Entscheidung leicht zu machen, wieviel sie von welchem Teil ihrer Biographie aufschreiben und ggf. veröffentlichen wollten. Sie lautete: „Erzähle eine der vielen Geschichten, die dich zu der Person machen, die du bist!“ In sechs Schreibwerkstätten wurden dann Themen erarbeitet, manchmal wieder verworfen, Rohfassungen erstellt und schließlich eine Menge druckreifer Text produziert. Ein Großteil der so entstandenen Texte befasste sich mit Erfahrungen rund um die Phänomene des Weggehens, Flüchtens und Ankommens, die zumeist auch mit Fragen von Zugehörigkeit und Ausgrenzung verknüpft sind. Im begleitenden Unterricht wurden auch Bedeutungen und Gründe des Veröffentlichens solcher Geschichten diskutiert. Ein Motiv vieler Jugendlicher war der Wunsch, sich zu artikulieren und die vorherrschenden Geschichten über sie selbst als „Andere“ zu ergänzen – und dadurch ein Stück weit zu irritieren oder in Frage zu stellen. Mögen in diesem Sinne die Geschichten viele Leser_innen finden.
Nina Wlazny, WUK m.power