Das Theater als Ort der Utopie

Das Theater als Ort der Utopie

Im Theater wird Raum geschaffen, um aufzurütteln, um Moralvorstellungen zu hinterfragen, um das Etablierte in seinen Grundfesten zu erschüttern.

Ein Zwischenbericht von Shilla Strelka mit einem Ausblick auf die im WUK stattfindende Performance Vertex von Fuckhead.

Im Theater wird Raum geschaffen, um aufzurütteln, um Moralvorstellungen zu hinterfragen, um das Etablierte in seinen Grundfesten zu erschüttern. Was will subversive Kunst und kann sie das überhaupt noch wollen?

Kunst und Revolution.

Wien war immer schon ein Ort des Aktionistischen. Auf dem Unipult seine Notdurft zu verrichten war damals - wie es heute wäre - ein großer Skandal. Kunst und Revolution - so der eigentliche Titel der mittlerweile ikonographischen Aktion, wurde damals von den bürgerlichen Zeitungen stattdessen simplifizierend als Uni-Ferkelei tituliert. International renommierte AutorInnen und RegisseurInnen wie Elfriede Jelinek, Thomas Bernhard, Peter Handke, Claus Peymann, Werner Schwab wurden und werden nach wie vor von populistischen Medien als Nestbeschmutzer beschrieben.

Die Diskrepanz zwischen Rezeption und Produktion ist eines der grundsätzlichen Probleme an Aktionen dieser Art. Was andere als Vandalismus oder Tabubruch empfinden, ist für diese KünstlerInnen kein simpler Akt der Provokation, sondern ein notwendiger Akt künstlerischen Ausdrucks, ein Aufbegehren gegen bestehende Verhältnisse mit Mittel des Schocks und der Grenzüberschreitung im eigentlichen Sinne. Dem Unverhältnis geht demnach ein anderer Ansatz in der Wahrnehmung von Kunst und Kultur selbst voraus. Geht es diesen KünstlerInnen doch um das Freisetzen eines emanzipatorischen Potentials und ein Wachrütteln aus dem Schlaf des Konsenses.

Subversive Kunst möchte vor allem eines: Freiräume schaffen, die Vorstellung von Individual-Anarchie ernstnehmen und dissidente Strömungen, widerständige Ausdrucksformen auf die Bühne bringen. Avantgarden brechen mit Normen und Verboten, irritieren und unterbrechen die bestehende Ordnung der Wahrnehmung. In Folge dessen sind alle Mittel erlaubt. Symptome dieser Avantgarden, die sich auf den Körper beziehen, sind Ekstase und Exzess, grenzenloses Austoben, Triebhaftes, Animalisches freizusetzen - ein nach wie vor probates Mittel, um gegen einen konservativen Wertekanon anzugehen. So sind enthemmte Material-Schlachten, oder Happenings, die eine andere Form der Partizipation einfordern in einem Verwandtschaftsverhältnis zu den dionysischen Spielen zu lesen. Das Freisetzen von Triebenergien bis hin zu Fetischaktionen, ersetzt die Moralvorstellung des Bürgertums mit der Ethik eines existentialistischen Humanismus. Enthemmung und Katharsis sind dazu das Schlüsselwort. Es sind Eros und Thanatos, die im Wechselspiel Räume öffnen, und zu einem aufgeklärten Umgang miteinander führen sollen. Es ist eine Poetik der Verkehrung, die empathisch machen kann.



In der politischen Arena des Imaginären.

Mit Fuckhead im Gespräch.

 "Wir können, wollen und müssen - für uns und als Kartharsis auch für andere - den Wahnsinn irgendwo ausleben."(Fuckhead)

Fuckhead gilt für viele als eine der härtesten, experimentellsten Bands des Landes - als das Aushängeschild für Gegenkultur. Die Entwickler und Protagonisten von Fuckhead, Michael Strohmann, Didi Kern und Didi Bruckmayr, werden in der Performance Vertex, von 3-D Künstler Sebastian Pirch, dem Bariton Clemens Kölbl, dem Performer Otmar Wagner und der Tänzerin und Schauspielerin Anna Mendelssohn unterstützt. Wie in all ihren Performances thematisiert auch ihre neueste Arbeit die sich in ständigem Wandel befindenden, hegemonialen Disziplinarmethoden unserer Gesellschaft. Aus dem kapitalistischen Wertesystem auszubrechen, schöpferische und zugleich aufgeklärte Kulturarbeit zu leisten, ist den Fuckheads von Anfang an ein Anliegen. Vor allem jedoch „geht es um die Ästhetik“, so Michael Strohmann, „formale Aspekte spielen eine große Rolle: das Unsaubere, das Gebrochene, das Bizarre“ sind Ideen die ihren Arbeiten zugrunde liegen. Für ihre neue Performance werden konstruktivistische Fragestellungen ins Zentrum gerückt. Mittlerweile haben sich jedoch die Vorzeichen geändert. Nun sind es Finanzströme und Finanzmärkte, Ökonomien von Likes und ganz eigentlich symbolisches Kapital das unseren Geist diszipliniert und unser Denken lenkt.

Mit diesen Vorzeichen als Ausgangspunkt, startet Fuckhead in die nächste Runde. Das Digitale, das Virtuelle und das Aktuelle des Theaterraums fallen ineinander. „Man glaubt ja doch immer daran, dass die anderen Menschen die Welt genauso sehen wie man selber - und hat diesbezüglich Schwierigkeiten sich in andere hineinzuversetzen, die Handlungen des anderen zu verstehen (und zu akzeptieren). Hilfreich wäre die Empathie-Fähigkeit zu erweitern, verbessern, oder eine Technik zu entwickeln die dies erleichtert.“

Die Utopie darf also beginnen. „Es gibt die Vorstellung eine Geschichte, ein mediatisiertes Erlebnis auf einen einzigen Betrachter zuzuschneiden. Aber macht das Sinn?“ fragt Strohmann weiter. „Ein Kunstwerk soll Menschen verbinden, nach Gemeinsamkeiten fragen. Wenn alles, jede Erfahrung völlig individuell ist, was hat man dann noch mit anderen gemeinsam?“

Ideologiekritik wird zu einem Auftrag der Gemeinschaft. Ausgangspunkt ist nach wie vor der (Gesellschafts-)Körper - Angelpunkt für Biopolitik, Unterdrückung, Tabuisierung. Diesen gilt es stets aufs Neue zu befreien. „Es ist die persönliche Lust an der Grenzerfahrung.“, die dabei im Mittelpunkt steht. Aber auch „Ideologie ist ein Aspekt unserer Überlegungen. Wissen und Glauben basieren grundsätzlich auf Übereinkünften, wenngleich sie mit unterschiedlichen Methodiken zu ihren Erkenntnissen und Wahrheiten gelangen“, so Didi Bruckmayr. Folglich besteht die Bühne diesmal zusätzlich aus einem Boxring, ein Klavier, eine Klanginstallation in einem Floating Tank - Auswege in eine komplexere Form der Realität, in dem ums Überleben geboxt wird. Motto Survival of the Fittest. Zudem fallen Schlagworte wie Potentialität, Quantenmechanik, Trendfollower und nach wie vor „Rationalismus, Empirismus, Religion, Kunst und Wahnsinn!“ Wir dürfen gespannt sein.

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