Die Ambivalenz des Scheiterns

Landschaftsaufnahme, Mensch schwingt ein Seil auf Gipfel in der Luft
Julius von Bismarck, "Punishment #1"

Die Ambivalenz des Scheiterns

Wie Künstler_innen im Anthropozän, dem "Zeitalter des Menschen", das Tragisch-Komische des Lebens reflektieren.

Hannah Beck-Mannagetta und Lena Fließbach, die Kuratorinnen der Ausstellung "Über die Unmöglichkeit des Seins" über fatale Irrtümer, stetes Scheitern und die Rolle des Menschen im Verhältnis zu Technik, Natur und Kultur in der heutigen globalen Gesellschaft.

Täglich wird der Mensch mit seiner eigenen Unzulänglichkeit konfrontiert. Ihm passieren Fehler, Missgeschicke und Stolperer, er tritt ewig auf der Stelle oder überschätzt sich selbst. Häufig läuft unsere zwischenmenschliche Kommunikation ins Leere, misslingt das Streben nach makellosem Aussehen und dem optimalen Auftreten. Gerade in der heutigen Leistungsgesellschaft, in der wir an unseren Erfolgen gemessen werden und Burnout längst als Massenphänomen gilt, scheint der Drang nach Perfektion weit verbreitet zu sein. Doch sind es oft genau diese Ungereimtheiten und Eigenarten, welche die Menschen liebenswert und interessant machen, und durch die sie zu neuen Erkenntnissen gelangen und über sich hinaus wachsen lassen. Das Ziel zu verfehlen, kann zu großen und bisher unbekannten Entdeckungen führen.

Ein Zeitalter der Schöpfung und Zerstörung

Globalisierung, Digitalisierung, Beschleunigung, Rastlosigkeit und Multitasking sind die Stichworte, die unser Zeitalter prägen, die aber auch in zahlreichen Gegenbewegungen wie Veganismus, Handarbeit, Animatismus, Slow Food, Yoga und Minimalismus die Sehnsucht nach einer Alternative, einem Rückzugsort und einer möglichen Zukunft zum Ausdruck bringen. Im Anthropozän, dem neuen Zeitalter des Menschen, scheint alles von ihm beeinflusst zu sein. Der Mensch ist ständig bemüht, die unterschiedlichen Bereiche, die unser Dasein prägen, umzugestalten oder neu zu entwerfen. Er wird von der Erforschung, Vermessung und Aufteilung der Welt geleitet. In seinem Streben nach Macht und Geld, aber auch nach Sinnstiftung, versucht er immer wieder über seinen begrenzten Horizont hinauszuschauen. Nicht selten geschieht dies jedoch auf Kosten anderer, wird die Natur geschunden, liefern die Menschen sich Materialschlachten und beuten andere, weniger mächtige aus: Die globale Erwärmung und das exponentielle Artensterben sind die Folge der steigenden Produktion von Treibhausgasen, der maximalen Ausbeutung unserer Ressourcen und dem Betreiben von landwirtschaftlichen Monokulturen. Weiterhin werden Massentierhaltung und Lohndumping, zum Beispiel in Sweatshops, betrieben. Aktuell besonders präsent ist die Angst vor Terror und Kriegen im Namen des – unter vielen anderen – so genannten Islamischen Staats, sowie die damit verbundene Auslöschung der Kultur ganzer Regionen und die Vertreibung ihrer Gesellschaften.

Acryl auf Leinwand, Schriftzug "From everything I know nothing"
Sophia Domagala, "From everything I know nothing" (2015)
Acryl auf Leinwand, 220 x 168 cm

Angesichts dieser ökologischen wie politischen Katastrophen wird das anthropozentrische Weltbild nicht nur infrage gestellt, die vermeintliche Vormachtstellung und Unfehlbarkeit des Menschen anhand seines vielfältigen Scheiterns an diesen globalen Problemen offenbart sich als fataler Irrtum. Es hat sich gezeigt, dass diese existenziellen Fragen und Aufgaben nur mittels der Verknüpfung von gesellschaftlichen, naturwissenschaftlichen und künstlerischen Denkansätzen und Methoden analysiert und hinsichtlich einer Perspektive für die Zukunft beantwortet werden können. In der zeitgenössischen Kunst greifen Künstler_innen diese interdisziplinären Praktiken und Ideen auf und führen uns in den verschiedensten bildnerischen Medien vor Augen, wie schmal der Grat zwischen Zerstörung und Schöpfung ist.

Via Lewandowsky, "Narziss" (2006)
Ausstellungssockel mit drei in sich verkleinerten Modellen, Holz, Acrylglashaube, Farbe, 160 cm x 30 cm x 30 cm

Vorstellungen auf dem Prüfstand

So bedienen sich Künstler_innen zunehmend naturwissenschaftlicher und technischer Instrumente und Arbeitsweisen wie der Laborarbeit, des 3D-Drucks oder hochauflösender Kameras und beschäftigen sich mit biologischen Materialien und der Erforschung des virtuellen Raumes. Dabei arbeiten sie teilweise eng mit Wissenschaftler_innen anderer Disziplinen zusammen. In ihren Arbeiten sprengen sie die gängige Vorstellung von Raum und Zeit oder manipulieren industrielle Produktionsweisen und Materialien über die vermeintlichen Grenzen des Machbaren hinweg. Nicht selten offenbaren die Arbeiten das Anpassungsvermögen der Natur im Vergleich zur Fragilität der menschlichen Zivilisation. Wieder andere machen uns darauf aufmerksam, wie die identitätsstiftenden und machterhaltenden Geschichten und Mythen, die innerhalb einer Kultur oder Nation in ihrer Unterscheidung in wahr und falsch, gut und böse, wertvoll und wertlos weitergetragen werden, sich auf den zweiten Blick als willkürlich herausstellen. Vermeintliche Wahrheiten wie die Kategorisierung und Bewertung von kulturellen Artefakten, Kunstwerken und Naturobjekten werden infrage gestellt. Unser narzisstisches Konzept von Liebe kommt ebenso auf den Prüfstand, wie unsere Vorstellung von Familie, Macht und Gesellschaft. “From everything I know nothing” – Es stellt sich heraus, dass wir so vieles noch nicht begriffen haben, und Anspruch und Wirklichkeit des Menschen oftmals auseinanderklaffen. Unsere Vorstellungen und Wünsche stellen einen Widerspruch zur Realität unserer Existenz dar.

In der aktuellen Ausstellung Über die Unmöglichkeit des Seins(Kunsthalle Exnergasse, 17.3. bis 30.4.2016) beschäftigen sich zwölf sowohl junge als auch etablierte Künstler_innen in den verschiedensten Medien mit der Rolle des Menschen im Verhältnis zu Technik, Natur und Kultur in der heutigen globalen Gesellschaft. Auf sinnliche, ernste wie humorvolle Weise erforschen sie die Ambivalenz des Scheiterns und führen die Vorstellung von Vormachtstellung und Unfehlbarkeit des Menschen ad absurdum. Die Themen der Ausstellung werden sowohl als individuelles, als auch als gesellschaftspolitisches Phänomen sichtbar. Am Ende manifestieren sich die Überschreitung von Grenzen, das Scheitern und die Imperfektion nicht nur als ein notwendiger Teil schöpferischer Prozesse, sondern machen auch das Neue, Wunderbare und Einzigartige unseres tragisch-komischen Lebens aus.

Luaftaufnahme einer Wolke
Janina Lange, "Shooting Clouds" (2014)

HD Video, Farbe, 5:12 min, Loop
Videostandbild

Hannah Beck-Mannagetta und Lena Fließbach arbeiten als Kuratoren- und Autorinnenteam unter ihrem in Berlin ansässigen Label the current an verschiedenen Ausstellungs- und Vermittlungskonzepten. Ihr Ziel ist es, die Verknüpfung zwischen gesellschaftlichen, naturwissenschaftlichen und künstlerischen Fragestellungen sichtbar zu machen und einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. Gemeinsam entwickelten die Kuratorinnen 2014 das interdisziplinäre Führungsformat „Walk the Talk“, das auch die Ausstellung „Über die Unmöglichkeit des Seins“ begleitet.

Die Unmöglichkeit des Seins

Diana Artus (D), Julius von Bismarck (D), Anina Brisolla (D), Sophia Domagala (D), Brad Downey (USA), Andreas Greiner (D) & Armin Keplinger (AT), Sven Johne (D), Tillman Kaiser (AT), Caroline Kryzecki (D), Janina Lange (D) und Via Lewandowsky (D)

Eröffnung: Mi 16.3., 19 Uhr
Ausstellung: Do 17.3. bis Sa 30.4.
Kunsthalle Exnergasse, Eintritt frei

Die Ausstellung wird von einem interdisziplinären Programm mit Expert_innen aus Kultur- und Naturwissenschaften in Form von dialogischen Führungen sowie einer Filmvorführung mit anschließendem Künstler_innengespräch begleitet.

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