Das Grauen, das Grauen …

Teilweise nackte, tätowierte Männer auf den Beinen aufgehängt in Blätterwerk
© Armin Rudelstorfer

Das Grauen, das Grauen …

von Dr. Didi Bruckmayr

In Anlehnung an Joseph Conrads Erzählung „Herz der Finsternis“ begeben sich die Künstlergruppen Fuckhead und Raum.null tief in die Abgründe der Menschheit, deren Hässlichkeit wir alle in uns tragen. Wer auf den Spuren Joseph Conrads und Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“ der Wahrheit immer näher kommt, egal ob das Boot auf dem Kongo treibt, dem Mekong oder auf der Donau, erkennt das Grauen als omnipräsent. Dieser Essay spannt über Conrads Werk den Bogen von 1890 bis tief in die Gegenwart. Das Grauen, das ist auch die Erkenntnis, dass wir alle Teil der Brutalität sind.

Das 1902 von Joseph Conrad veröffentliche Buch „Heart of Darkness“ erzählt von einer ruinösen Reise tief in den tropischen Urwald der heutigen Demokratischen Republik Kongo. Eine alles dominierende Natur zieht einem vermeintlich aufgeklärten, westlichen Menschen die dünne Haut der Zivilisation ab. Vernunft und Moral lösen sich auf. Es regieren die Triebe und ein bösartiger Egoismus. Das Bewusstsein ist limitiert, die Vernunft korrupt, das Streben nach Erkenntnis oder Transzendenz Selbstbetrug. Der Händler ist ein sadistischer Ausbeuter, dessen letztes Zeichen von Stand und Würde der gestärkte weiße Kragen ist. Die Sklaven sind bestenfalls Dinge. Die Pilger sind gierige, bigotte Ideologen. Ihre Religion ist Herrschaftsinstrument.

Der verloren geglaubte Handelsagent Kurtz, in der Erzählung „Herz der Finsternis“, ist Modernist und vormaliger Verfasser philanthropischer Schriften. Er macht sich dennoch einen Stamm untertan, plündert, mordet und ist „auf erschreckende Weise nur mit sich selbst beschäftigt“. Er ist der unbeweglichen, sich aber permanent verändernden, lauten und dennoch stummen Wildnis in vielerlei Hinsicht zu nahe gekommen. Die Wildnis wispert ihm zu, dass sie ihm nichts zu sagen hat, weil es nichts zu sagen gibt, da alles völlig sinn- und bedeutungslos ist und jegliches menschliches Handeln und Denken gleichermaßen kontingent sind.

Kurtz begeht in seiner totalen inneren Einsamkeit seine Taten mit reinem Willen, aus Leidenschaft und als Nihilist. Er plädiert im späteren Kommentar zu einer seiner philanthropischen Schriften nunmehr für die völlige Ausrottung der „Eingeborenen“. Ein Akt der Gnade. Dieses Dasein ist weder der Natur, noch dem Menschen zumutbar. Er selbst revoltiert bei seinem Ableben ein letztes Mal gegen das Leben, gegen die Natur, gegen die Kontingenz mit dem Kommentar „the horror, the horror“. Sein letzter überlebender Begleiter, der Seemann Marlow, muss hingegen mit Erschütterung feststellen, dass er selbst im Angesicht des eigenen Todes absolut nichts zu sagen hat. Seine Selbstreflexion reicht dafür nicht aus.

Conrad selbst bereist 1890den Belgischen Freistaat Kongo als Kapitän der britischen Handelsmarine. Im Zusammenhang mit seiner Arbeit an besagtem Roman stellt er  Mensch und Gesellschaft einen katastrophalen Befund aus: „Der Mensch ist ein bösartiges Tier. Seine Bösartigkeit muss organisiert werden. Das Verbrechen ist eine notwendige Bedingung der organisierten Existenz. Die Gesellschaft ist ihrem Wesen nach kriminell, sonst würde sie nicht existieren. Der Egoismus rettet alles – absolut alles –, was wir hassen, was wir lieben. Und alles bleibt so, wie es ist.“1

Conrads Befund bewahrheitet sich als wiederkehrend. Die heutige Demokratische Republik Kongo ist noch immer ein blinder Fleck im Selbstbild des aufgeklärten Westen; ein Fleck, der zeigt, wie wir die Welt wirklich sehen; ein Fleck, der die Geschichte von Ausbeutung und Mord unentwegt erzählt.

Im Kongo zeigt sich der wahre Charakter des Kapitalismus als der nunmehr „einzig natürliche“ und „gute“ Grund menschlichen Denkens und Handelns.
Die Geschichte wiederholt sich als Tragödie und als Farce. Unter internationaler Beobachtung und Beteiligung kämpfen in einem zerfallenen Staat regionale Machthaber und Warlords um die Bodenschätze. Ein 2002 veröffentlichter UN-Bericht resümierte: "Es gibt weltweit ein finanzielles (Profit-) Interesse daran, dass der jetzige Plündermechanismus fortbesteht. Es gibt eine Riesenanzahl von Leuten, die die Ressourcen des Kongo absaugen, die kongolesische Regierungselite, vielerlei europäische und nordamerikanische Firmen, eine Riesenanzahl afrikanischer Firmen und besonders die Eliten der Nachbarländer. Es handelt sich um ein sehr umfangreiches und komplexes Netzwerk, das von dem Krieg und der Ausbeutung profitiert."2 Im Bericht beschuldigte das Gremium auch dutzende westliche Firmen der Verletzung internationaler Standards für verantwortliches Firmenverhalten.

Im September 2007 schlossen das kongolesische Infrastrukturministerium und ein chinesisches Firmenkonsortium einen Vertrag über chinesische Investitionen in den Bergbau und die Infrastruktur in der Höhe von 3 Milliarden Euro gegen Überlassung der Minenkonzessionen. Die Vertragsdetails bedeuten die völlige Auslieferung des Kongo an einen ausländischen Investitionspartner.3 Das offiziell kommunistische (sic!) China ist der neue Kolonialherr.

Moral, Gerechtigkeit oder ähnliche Sentimentalitäten sind letztlich nur temporäre und situative Übereinkünfte, deren Akzeptanz nur aus zynischer Vernunft oder unter Zwang erfolgt. Erst die fortwährende Subvertierung der Regeln lässt die kollektive Zweck- und Überlebensgemeinschaft ausreichend funktionieren. Und letztlich ist alles bedeutungslos.

Diese wirren Zeilen sende ich von meinem Smartphone. In jedem Smartphone steckt Coltan, ein Erz aus dem Kongo.

1 Vgl. Urs Widmer. Nachwort. In: Joseph Conrad: Herz der Finsternis, Gutenberg, Frankfurt am Main, 1992, S. 203.
2 Vgl. KONGO (DRC) und Kriegsprofiteure, War Resistor‘s international, London, 2007, S. 2.
3 Vgl. Einzelheiten über Wirtschaftsdeal. Kongo, Chinas größtes Afrikageschäft, das taz Print-Archiv, Berlin, 21.12.2007.

Dietmar Bruckmayr, Dr. rer. soc. oec. ist Historiker und Dozent. Seit 1985 als Sänger, Schauspieler, Performance- und Medienkünstler aktiv, seit 1988 mit Fuckhead.

Fuckhead / Raum.null

"Herz der Finsternis"
Fr 23. und Sa 24.1., 20 Uhr, Saal

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